Gruppenentscheidungen und Verfahrensübersicht

Hier gibt es Hintergrundinfos zum Modul 2, um Gruppenentscheidungen durchzuführen und die Entscheidungen stetig zu verbessern.


Hier kannst du direkt loslegen und eine Gruppenentscheidung auf den Weg bringen!


Prinzipell ist zunächst festzuhalten, dass eine Entscheidung nie ein Zustand oder eine atomare Punkthandlung ist, sondern ein Prozess. Auch wenn wir alleine mit uns hadern.

Prozessübersicht

Man sieht, dass hier immer zwei Phasen aufeinanderfolgen: Zunächst werden Alternativen generiert und anschließend werden die Alternativen “rausgeschnitten” (lat. decidere: abschneiden, herausfallen), die als minderwertig angesehen werden.

Die erste Phase nennen wir “Vorschlagsphase”, weil in wir mit DAD auf Gruppenentscheidungen fokussieren und die möglichen Alternativen von den einzelnen Gruppenmitgliedern vorgeschlagen werden. Nichtsdestotrotz findet das Generieren von Alternativen auch im oE und kE statt, nur nicht unbedingt und ausschließlich durch Vorschläge, sondern durch Forschung. Man könnte also allgemeiner sagen, es handelt sich um die “Phase der Generierung von Alternativen”, die sich für Einzelentscheidungen in die “Forschungsphase” und für Gruppenentscheidungen in die “Vorschlagsphase” aufteilt.

In Vorschlagsphase spielt der Umgang miteinander eine wichtige Rolle. So werden in der Regel bei wichtigen Entscheidungen Moderatoren eingebunden. Die sorgen dafür, dass diverse Perspektiven auf den Sachverhalt erzeugt und gehört werden. Du kannst solche Moderationen bei uns buchen. Oder die Formulierung der Fragestellung als solche - sie erzeugt bereits ein Bild bei den Beteiligten. Man spricht hier vom Framing. Auch hierzu könnt ihr euch beraten lassen.

Die zweite Phase nennen wir “Abstimmungsphase”. Hier findet nun die Bewertung der Alternativen durch jede einzelnen statt, so dass für jede Alternative nach Abgabe aller Stimmen ein Ergebnis errechnet werden kann und daraus wiederum ein Gesamtergebnis.

Wenn wir im Folgenden über “Verfahren” sprechen, dann geht es um einzelne Praktiken, die in diesen Phasen angewendet werden.

In der Literatur werden unter den Entscheidungsverfahren selten die “Prozessmodalitäten” (manchmal auch abwertend “Prozessformalitäten”) beleuchtet, wie bspw. die Art der Stimmabgabe (Klassiker: Geheime/Anonyme Wahl). Meist geht es um die Bewertung der einzelnen Alternativen und den Algrorithmus zu Auswertung der abgegebenen Bewertungen. Hierzu findet man eine Übersicht bei Wikipedia unter dem Begriff “Wahlsystem” [Wikipedia2023-2][Wikipedia2023-3]

Hierauf wollen wir im folgenden eingehen. Aber auch ohne die nachfolgenden Details lässt sich das Tool bereits nutzen. Probier es einmal aus und stoß eine Gruppenentscheidung an!


Jetzt eine Gruppenentscheidung auf den Weg bringen



Rangverfahren vs Bewertungsverfahren

Zunächst mal kann unterschieden werden zwischen Mehrheitswahl-, Rangwahl- und Bewertungswahlverfahren (Achtung: im Englischen heißen die Rangwahlen “Rank Voting” und die Bewertungswahlen “Range Voting” bzw. “Score Voting” - “Range” im Englischen ist also ein Bewertungsverfahren!). Diese Unterscheidung ist enorm wichtig. Das hat spieltheoretische, sozialwissenschaftliche und mathematische Hintergründe. Denn für Mehrheits- und Rangwahlverfahren gilt das Unmöglichkeitstheorem von Arrow, welches besagt, dass man hier nicht vernüftig zu einer gemeinsamen Entscheidung kommen kann, wenn man auf die Einhaltung bestimmter Grundvoraussetzungen besteht. (Siehe [Wikipedia-1:Eigenschaften] oder auch [Arrow1963]/[Wikipedia-4] und [BambergCoenenbergKrapp2019:216ff])

Und das betrifft leider auch die meisten Wahlverfahren in den westlichen Demokratien. Siehe [Wikipedia-4:Beispiele] und auch [ElectionScience], [FairVote], [ElectoralReformSociety] und [Poundstone2008].

Warren D. Smith hat mittels Baysian Regret untersucht, wie verschiedene Wahlverfahren in Bezug auf das Ergebnis empfunden werden [SmithWeb:BayRegExec]. In diesem Bild, das sich auch in dem Buch von Pounstone [Poundstone2008] findet, werden die Ergebnisse für ein bestimmtes Szenario zusammengefasst:

Bayesian Regret

Man erkennt deutlich, dass bei einem aufrichtigem (und nicht taktischen) Wahlverhalten, Range Voting am besten abschneidet. “Appoval” ist das einfachste aller Bewertungsverfahren. “Borda”, “Condorcet” und “Instand Runoff” sind Rangverfahren. “Plurality” ist die Mehrheitswahl; das einfachste der Rangverfahren.

Man kann diese Grundproblematik wie folgt zusammenfassen: Wenn eine Person nur eine Alternative wählen darf (also die Mehrheitswahl, die in Demokratien üblich ist), gibt sie faktisch keine Bewertung zu den anderen Alternativen ab. Die Mehrheitswahl ist sozusagen eine Extremform der Rangverfahren, weil man ausschließlich den ersten Rang bestimmt. Rangverfahren, die es erlauben, alle Alternativen in eine Rangfolge zu bringen, sagen zwar etwas über alle Alternativen aus, weil alle in eine Rangfolge gebracht wurden, aber es ist weder ersichtlich, wie stark sich die Präferenzen unterscheiden, noch, wo sozusagen die Schmerzgrenze liegt. Mag man die Alternative auf Rang 2 nur halb soviel wie die auf Rang 1 oder liegen die knapp hintereinander? Und: Mag jemand eine Alternative, die er als dritte von acht gewählt hat nur weniger als die ersten zwei oder gar nicht? Weil die Unterschiede im Zuspruch/Widerstand nicht sichtbar sind, zählen die Rangverfahren zu den Ordinalverfahren, sie messen nur ordinal. Bei den Bewertungsverfahren hingegen, wird explizit zu jeder Alternative die Stärke des Widerstands oder Zuspruchs angegeben. Es wird also kardinal gemessen.

DAD richtet sich in erster Linie an Organisationen, die frei sind in der Wahl ihrer Wahlverfahren. ;-)

Und DAD will es besser machen.

Daher nutzt DAD die Bewertungsverfahren, die im folgenden erklärt werden.

Widerstandsabfrage

Bei dem in der Soziokratie als Quasi-Standard angewendeten Verfahren handelt es sich um ein Bewertungsverfahren, dass ausschließlich auf KonsenT schaut und somit lediglich den Widerstand misst. Der Akzeptanzbereich ist hier eine “milde Form des Widerstand”; Widerstand beginnt bereits bei der Entfernung von der absoluten Präferenz. Hier sind mehrere Skalen möglich. Verbreitet ist die Skala 0,-1,-2.

Genauso ist auch eine Skale von 0 bis -10 üblich. -10 steht dann für den “schwerwiegenden Einwand”.

Wenn jeder Teilnehmer seine Stimme abgegeben hat, wird der Durchschnitt je Alternative errechnet und die Alternativen werden danach absteigend sortiert.

Vetos

In der Soziokratie ist es üblich, den Entscheidungsprozess synchron, also in Echtzeit in einer Besprechung, vorzunehmen und “schwerwiegende Einwände” müssen berücksichtigt werden. Durch diese “Integration von Einwänden” direkt im Meeting entstehen neue Vorschläge und solche mit “schwerwiegenden Einwänden” stehen nicht mehr zur Wahl. In einem asynchronen Prozess - wie er durch das Modul 2 von DAD ermöglicht wird - ist das dadurch berücksichtigt, dass das Einzelveto aktiviert wird. Das führt dazu, dass eine Alternative, die ein Veto bekommt, in der nachfolgenden Verarbeitung komplett rausgenommen wird und die auf sie entfallenen Stimmen nicht gezählt werden. Idealerweise entwirft der Vetogeber einen neuen, “integrierenden” Vorschlag bereits in der Vorschlagsphase und kommentiert entsprechend. Wird das gemacht, kann der mit Veto bedrohte Vorschlag bereits in der Vorschlagsphase gelöscht werden.

Ein Einzelveto ist durchaus kritisch zu sehen, da es Veränderung verhindern kann und voraussetzt, dass die Gruppenmitglieder, die entscheiden, alle Alternativen im ausreichenden Maße verstehen und somit überhaupt beurteilen können und - siehe KonsenS vs. KonsenT - sich mindestens ihre Toleranzbereiche alle überlappen, was für sehr große Gruppe selten gegeben sein dürte.

Full Range

Dieses Bewertungsverfahren unterscheidet aktiv zwischen dem Akzeptanz- und Toleranzbereich und bezieht das ganze Spektrum von Widerspruch, Enthaltung und Zuspruch ein. Es misst den Grad des Zuspruchs (die Präferenzunterschiede im Akzeptanzbereich) und den Grad des Widerstands (die Präferenzunterschiede im Toleranzbereich). Die Enthaltung entspricht der Akzeptanzgrenze. Also jenem Punkt, an dem eine Alternative nicht mehr wirklich befürwortet wird, aber auch nichts dagegen spricht.

Die aktive Unterscheidung von Zuspruch und Widerstand bietet nun die Möglichkeit zwischen “Leid” (dem, was man erdulden muss) und “Befriedigung” (dem, was man bevorzugt) auszutarieren.

Üblicherweise wird der Vermeidung von Leid mehr Gewicht gegeben als der Erzeugung von Zufriedenheit. Daher kann der Widerstand hier gewichtet werden. Dieser Faktor stellt eine Art Wechselkurs zwischen den positiven und negativen Bewertungen dar, der wahrscheinlich mit den Gruppen und Themen variiert. Er sollte zumindest größer als 1 sein, um den Widerstand über den Zuspruch zu stellen. Wird er zu groß, dann ist wieder ein Einzelveto möglich.

Referenzen